Checkout-Insights durch Multi-Funnel-Analyse
Management Summary
Die Limitationen herkömmlicher Checkout-Funnels
Checkout-Funnels zählen zu den zentralen Werkzeugen, um Nutzerverhalten im E-Commerce zu analysieren und zu optimieren. Sie bieten eine strukturierte Übersicht darüber, wie viele Nutzer in jeder Phase des Kaufprozesses verbleiben oder abspringen. Auf den ersten Blick scheinen sie eine unverzichtbare Grundlage für datengetriebene Optimierungen zu sein – bei genauerem Hinsehen offenbaren sich jedoch wesentliche Schwächen.
Die Realität des Nutzerverhaltens ist komplexer, als es ein einziger linearer Funnel abbilden kann. Während herkömmliche Funnel-Darstellungen darauf abzielen, einen idealisierten Prozess darzustellen, ist der tatsächliche Userflow oft deutlich diverser: Nutzer springen zwischen Seiten, überspringen Schritte oder kehren später zurück, um ihren Checkout fortzusetzen. Diese Dynamik führt dazu, dass simple Funnels wichtige Aspekte der Nutzerinteraktion übersehen – mit weitreichenden Folgen für die Qualität der Analyse.
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Problem 1: Übersprungene Schritte und fehlerhafte Drop-Offs
Ein Kernproblem liegt in der starren Struktur traditioneller Funnel-Darstellungen. In Google Analytics 4 (GA4) beispielsweise wird jeder Schritt, der von einem Nutzer übersprungen wird, als Drop-Off gewertet – unabhängig davon, ob der Checkout später erfolgreich abgeschlossen wird. Stellen wir uns vor, ein Nutzer überspringt eine freiwillige Registrierungsseite und fährt direkt mit der Eingabe der Zahlungsdaten fort. Für den Funnel bedeutet dies einen vermeintlichen Abbruch, obwohl der Nutzer weiterhin im Checkout-Prozess verbleibt. Solche Fehlinterpretationen verzerren die Datenbasis und erschweren es, tatsächliche Problemstellen zu identifizieren.
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Problem 2: Vereinfachung führt zu Informationsverlust
Um die Problematik fehlerhafter Drop-Offs zu vermeiden, reduzieren viele Unternehmen ihre Funnels auf ein Minimum an Schritten. So konzentrieren sie sich beispielsweise nur auf essenzielle Phasen wie Warenkorb, Zahlungsinformationen und Bestellabschluss. Dies löst das Problem der fehlerhaften Abbrüche zwar teilweise, geht aber mit einem erheblichen Verlust an Details einher: Mit welchen Seiten interagieren Nutzer? An welchen Stellen treten Schwierigkeiten auf? Welche optionalen Angebote, wie ein Rabattcode-Feld, beeinflussen die Conversion-Rate? Solche Fragen bleiben unbeantwortet.
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Problem 3: Keine Abbildung realer Userflows
Die simplen Funnel-Darstellungen liefern ein stark vereinfachtes Bild der Realität und vernachlässigen die Diversität der möglichen Checkout-Wege. Nutzer haben unterschiedliche Bedürfnisse und Verhaltensmuster: Manche prüfen ihre Optionen ausführlich, während andere einen schnellen, direkten Kauf bevorzugen. Diese Vielfalt kann durch einen einzigen allgemeinen Funnel nicht abgebildet werden, was dazu führt, dass wichtige Insights verborgen bleiben.
Eine Lösung: Der Multi-Funnel-Ansatz
Um die Komplexität moderner Checkout-Prozesse adäquat abzubilden, bedarf es eines flexibleren Analyseansatzes: dem Multi-Funnel-Ansatz. Anstatt sich auf einen einzigen universellen Funnel zu verlassen, werden mehrere spezifische Funnels definiert, die jeweils unterschiedliche Userflows und Verhaltensmuster abbilden. Diese granularen Funnels ermöglichen eine präzisere Analyse, indem sie die verschiedenen Pfade, die Nutzer im Checkout durchlaufen können, gezielt darstellen.
Der Multi-Funnel-Ansatz erfordert eine sorgfältige Vorbereitung: Es gilt, alle potenziellen Wege zu identifizieren, die Nutzer während des Checkouts einschlagen können. Von Nutzern, die sich beispielsweise registrieren, bis hin zu solchen, die direkt als Gast fortfahren – jeder Pfad wird in einem separaten Funnel abgebildet. Dies erlaubt eine differenzierte Analyse, ohne die Daten durch übersprungene Schritte zu verzerren. So lassen sich echte Drop-Offs zuverlässig identifizieren, während alternative Verhaltensmuster, die ebenfalls zum Erfolg führen, sichtbar werden.
Dieser Ansatz bringt nicht nur eine realistischere Darstellung des Nutzerverhaltens mit sich, sondern liefert auch tiefere Insights für die Optimierung. Unternehmen können genau nachvollziehen, welche Pfade besonders erfolgreich sind und an welchen Stellen Nutzer tatsächlich auf Hindernisse stoßen. Der Multi-Funnel-Ansatz verwandelt so das abstrakte Bild eines einzigen Funnels in eine dynamische Landkarte von Userflows – eine unverzichtbare Grundlage für datengetriebene Entscheidungen.
Umsetzung der Multi-Funnel-Analyse in GA4
Bedeutung der detaillierten Planung für den Multi-Funnel-Ansatz
Eine präzise Skizzierung der Userflows ist die Grundlage für eine erfolgreiche Multi-Funnel-Analyse. Nur durch eine detaillierte Planung lassen sich die vielfältigen Verhaltensmuster der Nutzer realistisch abbilden und wertvolle Insights für die Optimierung des Checkouts gewinnen.
Strategien zur Identifikation verschiedener Userflows
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Nutzung historischer Daten aus GA4
Die Analyse historischer Daten in GA4 liefert wertvolle Erkenntnisse über typische Nutzerpfade. Durch Segmentierung und Exploration lassen sich wiederkehrende Muster und Ausnahmen identifizieren, die als Basis für die Funnel-Definition dienen. Praktisch darstellen lässt sich das mittels Path-Exploration Reports. Diese liefern einen Überblick über Abfolgen von Events.
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Analyse typischer Verhaltensmuster von Nutzern im Checkout-Prozess
Beobachtungen von gängigen Verhaltensmustern, wie das Springen zwischen Seiten oder das Überspringen optionaler Schritte, helfen dabei, relevante Userflows zu skizzieren. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei kritischen Abbruchstellen und deren Ursachen.
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Workshops mit Stakeholdern zur Definition aller möglichen Pfade
Die Einbindung von Stakeholdern – etwa aus Produktmanagement, Marketing oder UX – sorgt für eine ganzheitliche Perspektive. In Workshops können alle potenziellen Wege, die Nutzer im Checkout einschlagen könnten, systematisch erarbeitet und validiert werden.
Durchführung und Visualisierung anhand eines hypothetischen Beispiels
Definition der unterschiedlichen Funnels
In diesem Kapitel wird ein Beispiel gezeichnet, das die Vorgehensweise verdeutlichen soll. Angenommen wird ein Webshop mit vier unterschiedlichen Checkout-Möglichkeiten. Dies ist eine Vereinfachung – reale Beispiele können komplizierter sein und weitere Nuancen aufweisen. Die Kunst liegt darin, diese Nuancen vernünftig zu konsolidieren.
Für unser Beispiel wurden folgende vier Checkout-Pfade identifiziert. Ungefärbte Events stellen Steps dar, die jedenfalls durchlaufen werden müssen, ungeachtet des User-Flows. Gefärbte Events werden lediglich im jeweiligen User-Flow bzw. Funnel zwangsläufig durchlaufen.
1. Gastbestellung
2. Registrierung/Login während des Checkouts
3. Eingeloggt
4. Eingeloggt + Adress- und Bezahlinformationen im Konto hinterlegt
Anmerkung zu den Funnels 1 und 3: Die reine Event-Sequenz unterscheidet sich hier im Beispiel nicht voneinander. Es steht jedoch hypothetisch die Annahme im Raum, dass unterschiedliches Verhalten der beiden Gruppen beobachtet werden könnte und daher wird eine Splittung als sinnvoll erachtet. Ob das in einem produktiven Einsatz als sinnvoll erachtet wird oder nicht, muss fallspezifisch entschieden werden.
Definition der Filter und Segmente in GA4 Explore Reports
Im Folgenden wird eine Definition der Filter und Segmente mittels GA4-Exploration Report geschildert. Hier wird davon ausgegangen, dass das Erstellen von Reports mit GA4 Explore Reports bekannt ist. Wichtig zu wissen ist, dass die Funnel-Exploration in GA4 user-gescoped ist. Somit zählen auch session-übergreifende Events weiter in den Funnel ein.
Die Events des Funnels erfassen einen user_status Parameter. Funnel Steps werden wie folgt definiert:
- Event Name = add_to_cart; user_status = guest
- Event Name = view_cart; user_status = guest
- Event Name = begin_checkout; user_status = guest
Nach dem begin_checkout Event gibt es die Möglichkeit sich einzuloggen, oder als Gast mit der Bestellung fortzufahren. Die hell- und dunkelgrauen Flächen stellen in der folgenden Visualisierung sinnbildliche Mengen dar zwischen eingeloggten und nicht eingeloggten Usern.
Die Visualisierung verdeutlicht folgendes: Die Anwendung einfacher Eventfilter (user_status = guest) auf jedes Event der Sequenz, wird zwischen begin_checkout und add_shipping_info einen künstlichen Drop-Off erzeugen. Der Grund dafür: Die potentielle Menge an Usern ist zwischen add_to_cart und begin_checkout eine unterschiedliche als die potentielle Menge an Usern zwischen add_shipping_info und purchase. Die Erklärung: Die potentielle Menge an Usern bezeichnet hier die maximale Anzahl an Usern, die in einem Funnelschritt maximal erreicht werden kann. Logischerweise wird diese gesetzt durch die Konditionen des ersten Events – somit ist die potentielle Menge an Usern gleich der Menge an Usern beim Event add_to_cart und user_status = guest. Die folgenden Funnelschritte müssen so definiert sein, dass bei einem hypothetisch perfekten Funnel (0% Drop-Off) diese Zahl konstant bleibt. Aus der Visualisierung wird klar, dass dies ab add_shipping_info nicht gegeben ist. Selbst bei 0% Drop-Off würde add_shipping_info weniger User erzeugen als begin_checkout, da ab dort User wieder eingeloggt sein könnten, die es vorher nicht waren und die herausgefiltert werden. Daher ist hier ein künstlicher Drop-Off zu erwarten, der aber nicht aussagekräftig ist und auch keinen Handlungsbedarf suggeriert. Um dies zu vermeiden, muss die Konstanz der potentiellen User über alle Funnelschritte hinweg gewahrt bleiben.
Die Visualisierung verdeutlicht, dass für die Events ab add_shipping_info einfache Eventfilter nicht mehr ausreichen, da ansonsten eine verzerrte Darstellung des Funnels zustande kommt. Dabei entsteht ein künstlicher Drop-Off zwischen begin_checkout und add_shipping_info, bedingt dadurch, dass die potentielle Menge an Usern zwischen add_to_cart und begin_checkout eine unterschiedliche ist als die potentielle Menge an Usern zwischen add_shipping_info und purchase. Bei Letzterem würden eingeloggte User herausgefiltert werden, die davor sehr wohl als Gast zum Funnel gezählt wurden. Der Drop-Off zwischen begin_checkout und add_shipping_info stellt somit keinen wertvollen Einblick dar und suggeriert auch keinen Handlungsbedarf.
Eine Korrektur der Darstellung wird über Segmentierung erreicht. Indem die Steps add_shipping_info bis purchase auf user_status = guest segmentiert werden, erreicht man eine Konstanz der potentiellen User. Folgende Visualisierung verdeutlicht dies:
Die Segmentierung erfolgt auf Basis folgender Regeln:
- Das Segment ist Session-basiert und im Vergleich zum Funnel selbst nicht User-basiert. Das soll User im Funnel behalten, die eventuell add_shipping_info und add_payment_info per user_status = logged_in ausgelöst haben, jedoch zu einem anderen Zeitpunkt dennoch per Gastbestellung den Funnel beendet haben.
- Es wird die “Exclude Sessions when” Regel angewendet. Ein Include Filter würde den Funnel obsolet machen, da Sessions mit lediglich vorangegangenen Events (bspw. vor dem purchase) gar nicht mehr hinzugezählt werden würden.
- In der Exclude Regel werden die Events add_shipping_info, add_payment_info und purchase per “OR”- Bedingung verknüpft.
- Alle drei Events müssen zusätzlich die Bedingung user_status = logged_in erfüllen, damit der Exclude Filter greift.
Gewährleistung der Datenqualität
Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich ein wichtiges Prinzip, das erfüllt sein sollte, um den dargestellten Daten auch ein Vertrauen beimessen zu können: Konstanz der potentiellen User: der potentielle Usercount über alle Funnel-Schritte hinweg muss konstant bleiben, da ansonsten verzerrte Drop-Offs entstehen.
Eine weitere Möglichkeit die Daten zu überprüfen ist ein Vergleich mit absoluten Zahlen. Um beim ausgeführten Funnel zu bleiben: Gemäß deren Definition und den Definitionen der anderen Funnels, muss dieser Funnel alle purchases abbilden, die als Gast erfolgt sind. Somit kann ein Vergleich des Usercounts des letzten Funnelschritts mit dem totalen Usercount aller Events, wo Event Name = purchase und user_status = guest vorgenommen werden. Dieser muss übereinstimmend sein. Ist das nicht der Fall, kann von einer fehlerhaften Erstellung der Funnelregeln oder einer fehlerhaften Implementierung von Events ausgegangen werden.
Empfehlenswert ist auch die Erstellung eines “Generalfunnels”. Dieser besteht aus den Schritten, die jedenfalls durchlaufen werden müssen, ungeachtet des Userflows. In diesem Szenario wären das: add_to_cart, view_cart, begin_checkout und purchase. In diesen laufen 100% der User ein. Ein Breakdown auf user_status beispielsweise erlaubt weitere Überprüfungen der granularen Funnels.
Nicht unerwähnt bleiben darf auch die Usererkennung. Userbrüche verursachen eine Verzerrung des Funnels, wenn ein Bruch zwischen zwei Funnelschritten erfolgt. Überprüft werden kann das durch die Öffnung des Funnels. Dazu gibt es die Option “Make open Funnel” in den Explore Reports. Verhältnismäßig viele Einstiege in den mittleren Funnelschritten deuten auf häufige Userbrüche hin. Die Qualität der Usererkenung kann durch diverse Technologien wie Server-Side Tracking oder First Party Mode etwas verbessert werden.
Ungenauigkeiten
Selbstverständlich ergeben sich gewisse Ungenauigkeiten vor allem aus der Erstellung der Funnelregeln und Segmente, aber auch aus gegebenenfalls fehlerhaften Event-Implementierungen. Daher sind die im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Vergleiche zu einem “Generalfunnel” oder absoluten Metriken essentiell. Diese Vergleiche sollten ein vertretbares Maß an Ungenauigkeit nicht überschreiten, wobei das Maß für “vertretbar” individuell sein kann. Essentiell ist auch eine möglichst genaue Ausformulierung der Userflows. Je gewissenhafter das erfolgt, desto weniger Ungenauigkeiten werden angewandte Filter und Segmente erzeugen.
Fazit
Der Multi-Funnel-Ansatz erhöht, korrekt umgesetzt, das Potential der Analyse maßgeblich und erlaubt es, hypothesengetriebene Analysen und Checkoutoptimierungen auf ein neues Niveau zu heben. Gerne stehen wir für eine etwaige Realisierung beratend und auch umsetzend zur Verfügung.